Mithilfe der Förderung von Calls for Transfer konnte Prof. Dr. Raimund Horn von der TUHH gemeinsam mit Prof. Dr. Christian Schroer vom DESY in Hamburg einen neuartigen Röntgenprofilreaktor entwickeln und damit im Bereich der Reaktordiagnostik einen methodischen Durchbruch mit großer Strahlkraft erzielen.
Der in der chemischen und petrochemischen Industrie am häufigsten eingesetzte Reaktortyp ist der katalytische Festbettreaktor. Dieser Reaktortyp ist mit einem festen Katalysator gefüllt, der von einer Reaktionsmischung durchströmt wird. Um katalytische Reaktoren für die Nutzung neuer Rohstoffe und Energiequellen zu entwickeln, muss man die chemischen und physikalischen Vorgänge im Inneren der Reaktoren verstehen. Doch genau diese wichtigen Prozesse liegen tief verborgen, da chemische Reaktoren meist sehr intransparent sind und die Erforschung durch die hohen Temperatur- und Druckgegebenheiten sowie durch die enthaltenden Chemikalien, die meist giftig, brennbar oder sogar explosiv sind, immens erschwert wird.
In den letzten Jahrzehnten konnten im Bereich der physikalischen Vorgänge – insbesondere bei den Transportprozessen im Reaktor (Stofftransport, Wärmetransport und Impulstransport) – dennoch erhebliche Fortschritte gemacht werden, sodass diese Vorgänge heute fast beliebig genau vorausberechnet werden können. Im Gegensatz dazu ist das Verhalten von Katalysatoren in chemischen Reaktoren bisher weitaus geringer erforscht. Besonders über die Dynamik von festen Katalysatoren ist kaum etwas bekannt. In den Lehrbüchern werden die Katalysatoren bis heute als rein statische Systeme beschrieben. Neue Forschungsergebnisse konnten jedoch aufzeigen, dass feste Katalysatoren dynamisch sind und ihre geometrische und elektronische Struktur, ihre chemische Zusammensetzung und ihre Reaktivität (in Abhängigkeit der lokalen Temperatur- und Konzentrationsbedingungen im Reaktor) verändern.
Um diese Dynamik besser zu verstehen, entwickelt das Institut für chemische Reaktionstechnik der TUHH, geleitet von Prof. Dr. Raimund Horn, katalytische Festbettreaktoren, welche die Messung von Konzentrationsprofilen, Temperaturprofilen und spektroskopischen Profilen während ihrer Reaktion erlauben: so genannte Profilreaktoren.
Im Hamburger Forschungszentrum DESY steht mit PETRA III die brillanteste Speicherring-Röntgenquelle der Welt zur Verfügung. Deshalb entstand die Idee, das Konzept des Profilreaktors von der optischen Spektroskopie auf die Röntgenspektroskopie zu erweitern und mit der Messmethode noch mehr wertvolle Informationen über den Katalysator gewinnen zu können. In diesem Projekt wurde, ganz im Sinne des Grundgedankens von Calls for Transfer, wieder einmal deutlich, dass sich gemeinsam mehr erreichen lässt: Für den Bau des Röntgen-Profilreaktors und der geplanten Durchführbarkeitsstudie bedurfte es dem Transfer zweier Forschungsbereiche – der Röntgenspektroskopie und der chemischen Reaktionstechnik – sowie dem Mix verschiedener Kompetenzen, die letztendlich zum Erfolg geführt haben. Innerhalb des Forschungstransferprojektes wurde für das DESY ein Profilreaktor entwickelt, der im Rahmen einer Strahlzeit an der Beamlinie P64 für Röntgenabsorption und während einer weiteren Strahlzeit an der Beamline P07 für Röntgenbeugung erprobt werden konnte. „Der Reaktor funktionierte auf Anhieb einwandfrei und es konnten qualitativ hochwertige Daten gemessen werden. In einem weltweit bisher einmaligen Experiment wurden simultan Konzentrations-, Temperatur- und Röntgenabsorptions- und Röntgendiffraktionsprofile in einem katalytischen Festbettreaktor gemessen“, so Professor Horn in seinem Projektabschlussbericht.
Infolge des Projekts konnte durch Professor Horn gemeinsam mit Dr. Sheppard vom Karlsruher Institut für Technologie erfolgreich ein BMBF-Antrag eingeworben werden. Basierend auf der Technologie des ersten Reaktors wird innerhalb des Vorhabens mit dem Namen COSMIC ein weiterer Reaktor – dieses Mal aber ein Tomographie-Reaktor – entwickelt. Die beiden Reaktoren werden dann dauerhaft am DESY verbleiben und deutschen sowie internationalen Forschungsgruppen zur Verfügung stehen.
Darüber hinaus hat die TUHH bereits im Förderzeitraum des Projekts parallel einen Antrag für einen Sonderforschungsbereich mit dem Schwerpunkt „SMART Reactors“ vorbereitet. Dabei geht es um die Digitalisierung und wissensbasierte Optimierung chemischer und biochemischer Reaktoren im Rahmen von Industrie 4.0. Der mithilfe von Calls for Transfer entwickelte Röntgenprofilreaktor wurde bei der Begehung des SFB „SMART Reactors“ als Ausstellungsstück präsentiert. Im Mai 2023 fiel die Entscheidung der DFG positiv aus und an der TUHH herrscht große Freude über die Förderung in Millionenhöhe. Durch die Grundlagenforschung in dem SFB können künftig neue Technologien für intelligente Reaktoren entwickelt werden. „Der SFB SMART Reactors verfolgt einen umfassenden Ansatz, an dem 17 Institute der TU Hamburg sowie die HAW Hamburg, die Universität Hamburg, die Leuphana Universität Lüneburg, die Universität Freiburg und die Forschungsinstitute Hereon Geesthacht sowie das DESY beteiligt sind. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit ermöglicht die Bündelung von Know-how und einzigartigen Experimentiermöglichkeiten“, so heißt es in der offiziellen Pressemeldung der TUHH.
Christian Schroer und Raimund Horn haben in dem Sonderforschungsbereich wieder ein gemeinsames Projekt, dass auf den Röntgenprofil-Reaktor aufbaut. „Die 30.000 € aus dem C4T-Programm waren also gut angelegtes Geld. Insgesamt war das Forschungsprojekt damit ein voller Erfolg“, so Horn.